1920 spielte Eduard Zuckmayer in Frankfurt mit dem berühmten Geiger Max Strub die Uraufführung der Sonate in D für Violine und Klavier op.11, Nr. 2 von Paul Hindemith,
1924 durfte das Mainzer Publikum eine Weltpremiere erleben, die in ihrer provokanten Kürze kaum zu überbieten war. Mit Maurits Franck, dem Cellisten des Amar Quartetts, spielte Eduard Zuckmayer die Uraufführung von Anton Weberns Opus 11. Ganze 20 Töne umfasst das Werk.
Er liebte die Werke von Bach, aber spielte z.B. auch Strawinsky.
Nach Ende des 1. Weltkriegs musste Eduard Zuckmayer sich nicht nur von seinen schweren Kriegserletzungen erholen, er musste auch seine Klaviertechnik wieder aufbauen. 1920 begann er eine erfolgreiche Laufbahn als Pianist und Dirigent und trat in ganz Deutschland auf. Die Kritiker waren von seinem Klavierspiel begeistert. Zuckmayer erinnerte gern daran, dass einer schrieb, er sei ‚ein Wunder an technischer Vollendung und geistiger Durchdringung‘. Nur selten bekam er die Gelegenheit, als Orchesterdirigent zu arbeiten. Er wohnte in Frankfurt/M. und hatte dort und in Mainz einen großen Schülerkreis. Den Ruf der Stadt Mainz, eine städtische Musikschule aufzubauen, lehnte er jedoch ab, da er keine reine Lehrtätigkeit übernehmen wollte, die nicht mit Konzertleitung verbunden war, und er sich ‚auch nicht an eine Provinzstadt binden mochte‘. Als die hohe Inflation dazu führte, dass er seinen Lebensunterhalt nicht mehr als freier Künstler verdienen konnte, übernahm er dort aber 1923 die Klavierklasse, sowie Kurse in Theorie und Musikgeschichte. Um seine eigenen Ideen zu verwirklichen, gründete er zeitgleich die ‚Gesellschaft für Neue Musik Mainz/Wiesbaden‘, deren Konzerte die Begegnung mit zeitgenössischer Musik ermöglichten und viel Aufmerksamkeit erregten. Aber auch damit war er nicht wirklich zufrieden. Immer mehr wandte er sich vom öffentlichen Kunstleben ab und hin zur Jugendmusikbewegung, die die Laienmusik aufwertete. Seine Kunst sollte „nicht Selbstbeweihräucherung, nicht ästhetische Befriedigung für ein paar Luxusmenschen“ sein. Schon damals suchte er nach Ansätzen, Musik und Leben zu verweben, wie er sie dann 1925 zunächst an der ‚Schule am Meer‘ fand und später auch in der Türkei.
„1925 brachte die Begegnung mit Martin Luserke und seinem Kreis, der soeben auf der Nordseeinsel Juist die ‚Schule am Meer‘ gegründet hatte. Meine Mutter, die in der ‚Frankfurter Zeitung‘ einen Aufsatz des Soziologen Alfred Weber über diese Schulgründung gelesen hatte, machte mich darauf aufmerksam und meinte, ich sollte doch meine Sommerferien einmal am Meer und auf Juist verbringen, wahrscheinlich fände ich dort Menschen, die mir gefielen.“
Eduard Zuckmayer an Fritz Jöde 1964
Weit abgelegen, in den Dünen der Nordseeinsel Juist gründete Martin Luserke 1925 die ‚Schule am Meer‘, ein Internat mit reformpädagogischen Ansatz. Fern der Großstadt sollten neue Formen der Erziehung praktiziert werden, Im quasi-familiären Kreis der Schulgemeinde sollten die Lernenden zu geistiger Freiheit und sozialer Verantwortung erzogen werden. Gelernt wurde vor allem durch das unmittelbare Erleben. Der Musik, insbesondere dem eigenen Musizieren, wurde ein hoher Stellenwert gegeben.
Eduard Zuckmayer war von der Idee dieser Schule begeistert. Ihm gefiel es „einen nicht nur idealistisch der Antike rückblickend zugewandten, sondern einen heutigen, der Wirklichkeit nahen ‚Humanismus‘ innerhalb eine Schulgemeinde zu verwirklichen“. Er entschloss sich daher, die Konzertlaufbahn zu verlassen und nach Juist zu gehen. In ‚lebendiger Praxis‘ entwickelte er dort neue Formen des Musizierens wie den gemeinsamen ‚Singabend‘ oder den ‚Musizierkreis‘ (Chor und Instrumentalspiel).
Dabei wollte er sich als ‚Musiker in der Schule‘ verstanden sehen, im Unterschied zur Bezeichnung als Musiklehrer oder Schulmusiker. Das rege Musikleben an der Schule ersetzte dabei nicht den Musikunterricht. Der von Eduard Zuckmayer erstellte Lehrplan ging aber davon aus, dass „lebendige Erziehung bei jedem Menschen seine Musizierfähigkeit und aktives Mithören erreichen müsse“. Dabei legte er nie seinen Anspruch an die hohe Qualität der Musik ab. Auf die Frühgymnastik in den Dünen folgte das tägliche Morgenvorspiel aus dem „Wohltemperierten Klavier“. Er genoss es, ein kompromissloses Leben mit der Musik um ihrer selbst und nicht um des Verdienstes willen zu führen und von Gleichgesinnten umgeben zu sein. Und doch rang der Pianist von hohem Rang Zeit seines Lebens mit dem Zwiespalt des anerkannten Künstlers und dem Wirkens in einer solchen Schulgemeinde.
Schon vor seiner Zeit auf Juist war Eduard Zuckmayer mit der Deutschen Jugendbewegung und dem Kreis um Fritz Jöde auf der Jugendburg Lobeda in Kontakt. Er arbeitete zeitweilig mit, blieb aber immer auf Distanz. Zu wenig hätten sie von der Beratung der mit ihr sympathisierenden Fachmusiker Gebrauch gemacht, schreibt er. Ihn störten eine falsche Volkstümlichkeit und der Dilettantismus von Laienorchestern. Dennoch erhielt er dort viel Anregung, so erschloss sich ihm etwa das alte deutsche Liedgut neu. Die Zeit an der ‚Schule am Meer‘ bot ihm dann die Gelegenheit, das Laienmusizieren neu zu erproben und zu bestimmen.
Zu den Gründern der Schule am Meer gehörte neben Martin Luserke auch Paul Reiner, der Mann von Anni Reiner. Ihre wohlhabende jüdische Mutter Philippine Hochschild unterstützte die Schule finanziell und stellte ihr auch ihren Flügel zur Verfügung.
Warum Anni Reiner die Schule 1933 verlassen musste, erfuhren wir 2020 am Lago Maggiore von ihrer Tochter Karin Reiner (89). Die Nazis erwarteten, dass jüdische Schüler*innen und Lehrer*innen nicht an der Schule blieben.
Am Lago Maggiore fand die geborene Jüdin ein neues Zuhause. Der Flügel wurde ihr nachgeschickt und steht noch heute in ihrem Haus am See. Eduard Zuckmayer spielte ihn auf Juist und später dann in Brissago, wo er oft zu Besuch war.
Im Nachlass von Anni Reiner finden sich Noten von Eduard Zuckmayer mit handschriftlichen Widmungen. Die „Herbst-Kantate“ für kleinen und großen Chor mit Begleitung von Instrumenten nach Worten von Martin Luserke entstand an der ‚Schule am Meer‘. Sie erschien 1932 bei B.Schott’s Söhne, Mainz. Sie wurde nicht nur auf Juist, sondern auch in Berlin aufgeführt. Eduard Zuckmayer spricht von einer ‚Gelegenheitskomposition‘. Überhaupt dienten seine Kompositionen vorwiegend dem Bedürfnis nach neuer Musik, die seinen musikpädagogischen Ideen entsprach und von Laien bewältigt werden konnte.
Für seinen Bruder Carl Zuckmayer schrieb er während dieser Zeit die Musik zu zwei Theaterstücken, zu dem Kinderstück ‚Kakadu Kakada‘ (1929) und zum Schauspiel ‚Der Schelm von Bergen‘ (1934).
Einige weitere Titel: ‚Jorinde und Joringel‘, ein Spiel nach dem Märchen der Gebrüder Grimm (1926), ‚Do-Re-Mi‘, Lehrstück für Instrumente (1932) oder ‚Pfingst-Kantate‘ (1930) und ‚Kameradschaft‘, Kantate nach Worten von Walt Witmann (1932)
„Lieber Herr Zuckmayer, Wolfgang F o r t n e r übergab uns eine Fotokopie Ihrer ‚Herbstkantate‘, deren Aufführung er in Berlin miterlebte und über die er mit Recht sehr begeistert war. Das Stück gefällt uns allen und wir wären gern bereit, es herauszugeben, trotzdem die wirtschaftlichen Verhältnisse gerade für derartige Werke ungünstig sind, die zu billigen Preisen herausgegeben werden müssen und doch nur eine beschränkte Absatzmöglichkeit besitzen. Wir denken aber durch autographische Wiedergabe wenigstens der Partitur und der Instrumentalstimmen die Herstellungskosten so niedrig wie möglich halten zu können. Die Stimmen werden wir wohl stechen müssen.“
Willi Strecker (B.Schott’s Söhne, Mainz) an Eduard Zuckmayer auf Juist im Mai 1932
„Durch die Rassegesetzgebung war ich zum ‚Mischling‘ oder ‚Halbjuden‘ geworden, Obwohl man den Kriegsteilnehmern anfangs eine Ausnahmestellung zugesagt hatte, wurde ich aus der ‚Reichsmusikkammer‘ und damit von weiterer Betätigung im deutschen Musikleben ausgeschlossen. Ich begann, mich nach einem Wirkungskreis im Ausland umzusehen. Um in der Übergangszeit nicht ganz ohne Tätigkeit und Mittel zu sein, nahm ich ein Angebot der bekannten ‚Odenwaldschule‘ an, dort sozusagen als ‚Gast‘ zu leben und das Musikleben zu leiten. Die zunehmende Kontrolle und der verhetzende Einfluss des Nazitums auf die Mentalität der Jugend machten auch dort eine meinen Gesinnungen gemässe und fruchtbare Arbeit mit jedem Monat unmöglicher. 1935 frug mich der damals als Organisator nach Ankara berufene Komponist Paul Hindemith an, ob ich geneigt sei, eine Stellung innerhalb der Musikreform der Türkei anzunehmen.“
Eduard Zuckmayer in seinem Lebenslauf, geschrieben am 30.04.1945 in Kırşehir (Türkei)
Die Machtergreifung Hitlers und die darauf einsetzende ‚Gleichschaltung‘ führten dazu, dass die ‚Schule am Meer‘ 1934 aufgelöst wurde. Anders als Anni Reiner war Eduard Zuckmayer geblieben. Als Frontkämpfer meinte er, geschützt zu sein. Auch die Schulleitung dachte lange, sie könne sich mit den Nazis arrangieren. Aber die Zahl der Schüler*innen nahm ab, in der Hochzeit waren es ca. achtzig gewesen und zwanzig Lehrpersonen. Und somit entfiel für die Privatschule die finanzielle Grundlage. Eduard Zuckmayer ging schweren Herzens und nahm ein Angebot der Odenwaldschule in Heppenheim an.