Fotokarte (s. Vor- und Rückseite) 1936
Die Fotokarte wird im Hindemith Archiv aufbewahrt. Eduard Zuckmayer schickte sie Paul Hindemith 1936 aus Ankara, wohin er ihn kurz zuvor vermittelt hatte.
Die 1923 gegründete türkische Republik wollte sich mehr am Westen orientieren und Atatürk beauftragte Paul Hindemith mit der Reform des Musikwesens. Dafür holte sich der Komponist Unterstützung aus Deutschland. Eduard Zuckmayer, aber auch Ernst Praetorius als Leiter des Staatsorchesters, Carl Ebert als Leiter der Oper u.a., denen die Nazis Beruf und Zukunft genommen hatten.
Zunächst arbeitete Eduard Zuckmayer am Staatskonservatorium, später wurde er Leiter des ‚Gazi Institut‘.
„Als ich am frühen Sonntagvormittag eines schon recht warmen Apriltages im Jahre 1936 zum erstenmal nach Ankara kam, stand auf dem Bahnsteig Willkommen winkend das Ehepaar Hindemith. Freudig erregt, eine schon seit 1920 bestehende Bekanntschaft erneuernd, gingen wir zu Fuß die Straße zum ‚Ulus‘ hinaus. (…) Das Verdienst eine so überragende und universelle Musikerpersönlichkeit wie Hindemith in die Türkei zu holen – und es war ein Verdienst, dessen positive Auswirkungen bis heute andauern – gebührt Cevat Dursunoğlu. (…) Das Verdienst wiederum, Cevat Dursunoğlu auf Hindemith hingewiesen zu haben, hat kein geringerer als Wilhelm Furtwängler, an den der ‚große Cevat‘ sich auf der Suche nach einem Organisator für die türkische Musikreform gewandt hatte. (…) Nach der Rückkehr von seinem ersten Türkei-Aufenthalt traf sich Hindemith mit mir in Heppenheim an der Bergstraße. In einem Hotel, das den für diese Begegnung recht passenden Namen ‚Zum halben Mond‘ führte, erzählte er mir von seinen Plänen. Seinen Vorschlag, an der Pionierarbeit in der Türkei teilzunehmen, nahm ich mit Freude an.„
Eduard Zuckmayer 1964 in Mitteilungen der Deutsch-Türkischen Gesellschaft e.V. Bonn
Sein Vater, der Sozialdemokrat Ernst Reuter ging 1935 nach Ankara ins Exil. Nach dem Krieg wurde er Bürgermeister von Berlin. Die Türkei ist relativ unbekannt als Exilland für von den Nazis Verfolgte. Dort fanden einige Arbeit in ihrem Beruf.
Edzard Reuter, später lange Jahre Chef von Mercedes, war erst sieben Jahre alt, als seine Familie in die Türkei emigrierte. 1946 kehrten die Reuters nach Deutschland zurück.
In Ankara traf Edzard Reuter mehrfach auf Eduard Zuckmayer. Für unseren Film beschreibt er 2015 seine Erinnerungen an ihn, vor allem sein Klavierspiel beeindruckte ihn sehr.
Die Türkei bezeichnet Edzard Reuter als seine Zweite Heimat, genau wie Eduard Zuckmayer. Beide sprachen sehr gut Türkisch und waren dem Land sehr verbunden.
Ehefrau Gisela lernte Eduard Zuckmayer während seiner Zeit an der ‚Schule am Meer‘ auf Juist kennen. Damals war sie noch mit dem ebenfalls an der Schule tätigen Walter Jokisch verheiratet. Aus dieser Ehe stammt die 1933 geborene Tochter Michele. Die beiden folgten Eduard Zuckmayer 1938 nach Ankara. Heiraten konnte das Paar erst 1947, davor verweigerten die deutschen Behörden ihnen die nötigen Papiere, wohl weil Mischehen verboten waren und sie als Arierin galt und er nicht.
Michele hatte zu ihrem Stiefvater ein sehr enges Verhältnis. Er war mein Vater, ein sehr hingebungsvoller Vater, der sich immer rührend um mich gekümmert hat, erzählt sie in dem Interview, das wir 2014 mit ihr führen konnten. Auch Eduard Zuckmayer schreibt sehr liebevoll über das kluge und aufgeweckte Mädchen, das fließend türkisch spricht.
1950 ging Michele mit ihrer Mutter zurück nach Deutschland. Gisela Zuckmayer war in der Türkei nie heimisch geworden. Ihr damals bereits 60 Jahre alter Mann blieb als Hochschullehrer in der Türkei und wohnte in einem kleinem Zimmer in seinem Institut. Mit ‚Gi‘ führte er von da an eine Fernbeziehung. Sie sahen sich oft in seinen Ferien und standen in regem Austausch, wie ein umfangreicher Briefwechsel belegt.
Kurz vor seinem Tod hatte Gisela Zuckmayer ihren Mann noch in Ankara in der Klinik besucht, aber da es ihm besser zu gehen schien, reiste sie zurück. Nach der Beerdigung in Ankara wickelte sie dann sein detailliertes Testament ab, in dem sie als Haupterbin eingesetzt ist. Eduard Zuckmayer verfügte, falls seine Frau dazu nicht mehr in der Lage sei, solle ‚unsere Tochter‘ mit der Ordnung des Nachlasses beauftragt werden.
Als Eduard Zuckmayer 1936 nach Ankara kam, arbeitete er am staatlichen Konservatorium und hatte zunächst dort die künstlerische und technische Leitung der ‚Musiklehrerschule‘ inne. Er etablierte ein Schülerorchester, initiierte einen Chor, gab Klavierunterricht, bot Kammermusik an, organisierte Konzerte und kümmerte sich um den Aufbau der Bibliothek.
1938 wurde die Ausbildung der Musiklehrer ausgegliedert und dafür an der damaligen Pädagogischen Hochschule mit dem ‚Gazi Eğitim Enstitüsü‘ ein neues Institut gegründet, für das Eduard Zuckmayer von Anbeginn verantwortlich war. Er entwarf die Lehr- und Arbeitspläne und übernahm die Ausbildung der Studierenden anfangs zum grössten Teil persönlich.
Das Institut wurde sein Lebenswerk. Erst 1970, mit 80 Jahren zog er sich aus der Leitung zurück. Die über 600 Lehrer*innen, die er ausbildete, unterrichten verteilt übers ganze Land, und alle die noch leben, sprechen mit Hochachtung von ihm. Es gilt als große Ehre, von ihm ausgebildet worden zu sein.
‚MÜZED‘, der Verband der türkischen Musiklehrer, verlieh Zuck 2012 einen Ehrenpreis. Seine Mitglieder organisieren zahlreiche Musikprojekte, auch außerschulische, die in seiner Tradition stehen. Wie ihrem Vorbild ist es ihnen wichtig, dass Musikunterricht nicht nur den Wohlhabenden und Gebildeten offen steht, alle sollen Musik lernen, ausüben und hören können.
Seinen Studierenden ermöglichte der deutsche Professor die Begegnung mit europäischer Musik und führte sie ein in die Welt der Vokal- und Instrumentalmusik von Bach bis zu Bartok, Hindemith und Strawinsky.
Als die Türkei 1944 die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abbrach, wurden die im Land lebenden Deutschen aufgefordert, nach Deutschland zurückzukehren. Wer das nicht wollte oder konnte, wurde ‚interniert‘. Es war wohl mehr ein Zwangsaufenthalt, den Eduard Zuckmayer mit seiner Familie und anderen Deutschen in einem kleinen Ort in der Provinz Kırşehir verbrachte, von Ankara etwa 160 km entfernt. Sie lebten dort unter einfachsten Bedingungen, durften den Ort nicht verlassen, sich aber ansonsten frei bewegen. Unter den Emigranten überwog die Erleichterung, nicht ausgewiesen worden zu sein.
Zuck übernahm den Lateinunterricht für die Kinder. Und er gründete einen Chor, mit dem er ohne Instrumente und Noten eine „gar nicht so leichte Palestrina Messe“ einstudierte und Pfingsten 1945 aufführte. Die Internierung dauerte auch nach Kriegsende an und die Zuckmayers konnten erst Ende 1945 nach Ankara zurückkehren.